LindeGott als Vater ist typisch für die partriachalischen biblischen Religionen. Die älteren Religionen sahen die Gottheit als Frau und Mutter. Sie war das Symbol aller Fruchtbarkeit, nicht nur der menschlichen → Beispiel: Venus von Willendorf. Die Alten wußten nur, daß die Kinder aus der Frau kamen. Die Zeugung durch den Mann kannten sie nicht. Sie glaubten, die Frauen würden fruchtbar, wenn sie unter einem bestimmten Baum durchgingen oder einen Stein berührten. Der Vater als Zeuger war unbekannt. Er war Gatte der Frau, nicht im wörtlichen Sinne Vater der Kinder. Bis in die neueste Zeit hat es Naturvölker gegeben, die den Zusammenhang von Geschlechtsverkehr und Zeugung nicht kannten. Von dieser Anschauung her, liegt es nahe, die Frau als Geberin des Lebens auch göttlich zu verehren.

Die jüdischen Propheten hatten immer gegen die alten Mutterkulte und ihre oft anstößigen Bräuche zu kämpfen[1]. Wie stark das Mütterliche in Glauben und Brauchtum noch heute vorhanden ist, sieht man an der Verehrung der Großen Mutter, die in Maria weiterlebt. Der früh verstorbene Papst Johannes Paul I. hat einmal gesagt, wir könnten Gott ebenso Mutter wie Vater nennen. Von ihm kommt alles Leben, er ist geschlechtslos. Wir Menschen stellen uns auch das Unvorstellbare menschlich und in Symbolen vor. Trotzdem gilt Maria als das Urbild des Menschen: → „Maria gehört in das Evangelium … Sie wird als die beispielhafte Hörerin des Wortes Gottes gezeichnet, als die Magd des Herrn, die Ja zu Gottes Willen sagt, als die Begnadete, die aus sich selber nichts, durch Gottes Güte aber alles ist. Und so ist Maria das Urbild der Menschen, die sich Gott öffnen und beschenken lassen, der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche. [i]

In der Urzeit vermehrte sich die Menschheit nur sehr langsam. Man war der Natur und ihren Mächten preisgegeben. Kinder zu haben bedeutete Versorgung im Alter und Arbeitskraft. Aber die Sterblichkeit der Kinder war groß, Kinderlosigkeit galt als Schande, Fruchtbarkeit als Segen. In den biblischen Geschichten lesen wir von den Sorgen der kinderlosen Mütter von Sara bis Elisabeth.

Auch nach Mariazell zogen Kaiserinnen zu Fuß, um Kinder zu erflehen. Vielleicht weil sie wussten, dass Mariazell schon vor der Christianisierung ein heiliger Ort war. Übrigens, die Statue in Mariazell ist aus Lindenholz geschnitzt. Jenem Baum, der den Slaven und Germanen heilig und der Frigga oder Frija, der Göttin der Fruchtbarkeit geweiht, war. Wer sich unter diesem Baum einfand, stand unter dem Schutz der Göttin. Nach der Christianisierung wurden viel alte Kultlinden der Mutter Gottes geweiht und mit entsprechenden Bildern behängt und so zur Marienlinde.

[1]    die Propheten Samuel etc. griffen stark die Fruchtbarkeitsriten der Kanaanäer mit ihren Gottheiten Baal und Astarte an → vgl. 1 Kön 16,29 ff.

[i]        Evangelischer Erwachsenenkatechismus 1975, Seite 392 f.

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Bildquellen

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